30.12.2023 Weltnaturerbe mit Knalleffekt? Forschung belegt Störungen der Vogelwelt durch Feuerwerk

30.12.2023 Weltnaturerbe mit Knalleffekt? Forschung belegt Störungen der Vogelwelt durch Feuerwerk

Zum Jahreswechsel entbrennt stets neu die Diskussion um das Silvesterfeuerwerk. Im Nationalpark selbst ist Feuerwerk verboten; darüber hinaus können wir als Schutzgebietsverwaltung nur appellieren, wegen der weiträumigen Auswirkungen freiwillig auf Feuerwerk im Umkreis des Nationalparks (und anderer wertvoller Lebensräume für die Tierwelt) zu verzichten. Die Auswirkungen auf Wildtiere werden in der Diskussion oft unterschätzt oder heruntergespielt. In der nachstehenden Medieninformation haben wir deshalb aktuelle Forschungsergebnisse aufgegriffen, welche die räumlich und zeitlich weitreichende Störwirkung von Feuerwerk auf Vögel belegen. 

 

Dazu anliegendes Pressefoto (Autor: Thorsten Krüger)

Weißwangengänse rasten im Winter zu Zehntausenden im Nationalpark Wattenmeer. Ihre Heimat sind menschenleere Gebiete in der Arktis, entsprechend empfindlich reagieren sie auf anthropogene Störreize wie z.B. Feuerwerk.

Weltnaturerbe mit Knalleffekt?

Forschungsergebnisse belegen räumlich und zeitlich weitreichende Störwirkungen der Vogelwelt durch Feuerwerk – Wattenmeer zählt zu besonders davon betroffenen Lebensräumen – Fachleute empfehlen feuerwerksfreie Pufferzonen entlang von Schutzgebieten – Tipps für einen stimmungsvollen naturfreundlichen Jahreswechsel

 

Kaum ist das letzte Weihnachtspapier weggeräumt, bereitet man sich auf den Jahreswechsel vor. Jede*r kennt verschiedene Rituale, um positiv ins neue Jahr zu kommen: ein gutes Essen im Freundes- oder Familienkreis, Tanzen, Gesellschaftsspiele, „Dinner for One“ gucken, Bleigießen (aus gesundheitlichen Gründen heutzutage mit Zinn), Kaffeesatz-Lesen, Wunderkerzen, Knallbonbons, kleine Glücksbringer, Tischfeuerwerk, Luftschlangen, Konfetti … Für viele gehört immer noch ein privates Feuerwerk mit Böllern und Raketen dazu und alljährlich wird diskutiert, ob das noch zeitgemäß ist.

Es gibt zahlreiche Aspekte in der Diskussion um Feuerwerke: Lärm, Müll, Feinstaub, Schwerverletzte, überlastete Notfallambulanzen, Angriffe mit Feuerwerkskörpern auf Polizei und Rettungskräfte. „Für uns als Nationalparkverwaltung steht die Verantwortung für den Schutz wildlebender Tiere im Fokus, insbesondere tausende Vögel, die an der Küste und auf den Inseln überwintern“, erklärt Peter Südbeck, Leiter der Nationalparkverwaltung Niedersächsisches Wattenmeer. „Für einen Zugvogel ist jeder einzelne Tag entscheidend für das Überleben. Er kann nicht ohne Folgen für Kondition und Gesundheit über Stunden immer wieder aufgescheucht durch die Gegend fliegen, ohne zu fressen, zu ruhen, zu schlafen.“ Bereits die niedrigen Temperaturen erhöhen den Energiebedarf, gleichzeitig ist die Nahrung knapper als im Sommer. Ungestörte Zeitfenster für intensive Nahrungssuche müssen sich abwechseln mit ausreichenden Ruhezeiten, in denen der Energiebedarf deutlich heruntergefahren wird. Jede Störung gefährdet den sensiblen Energiehaushalt der gefiederten Wintergäste. Vor diesem Hintergrund, so Südbeck, lässt sich auch die Störungswirkung durch Silvesterfeuerwerk für die Vögel der Umgebung nicht kleinreden.

Es gibt mittlerweile zahlreiche wissenschaftliche Untersuchungen zu den Auswirkungen von Feuerwerk auf wildlebende Vögel. Im Rahmen der Zugvogelforschung sind zahlreiche Vögel mit GPS-Sendern ausgestattet, mit denen sich ihre Flugbewegungen genau nachverfolgen lassen. Auch mit Radaranlagen zur Wetterüberwachung lassen sich Bewegungen von Vögeln, sogar in verschiedenen Größenklassen, quantifizieren. So lässt sich feststellen, dass Vögel in Massen ihre nächtlichen Schlafplätze verlassen und sehr hoch und sehr weit fliegen, um einem Feuerwerk auszuweichen. Das Maximum lag bei 500 km Flugdistanz und 700 m Flughöhe in der Silvesternacht – solche Distanzen und Anstrengungen leisten die Vögel sonst nur während der eigentlichen Zugzeit. Da in der Silvesternacht allerorten Feuerwerk gezündet wird, ist es schwer, einen sicheren Ruheplatz entlang der Küste zu finden. Das Fluchtverhalten ist verbunden mit Energieverlusten, die sie jetzt in der winterlichen Rastzeit schwer kompensieren können. Sie müssen in den Tagen und Wochen danach noch mehr Futter suchen. Oft kehren die Tiere erst Tage später, manchmal auch gar nicht mehr, zu ihrem angestammten Schlaf- und Ruheplatz zurück.

Untersuchungen aus den Niederlanden mit Differenzierung verschiedener Lebensräume kamen zum Ergebnis, dass der Störeffekt in Feuchtgebieten wie dem Wattenmeer deutlich höher ist als im Wald und halboffenen Lebensräumen. Schall und Licht können sich in offenen Lebensräumen weiter ausbreiten und für größere Vögel wie Gänse, Enten und Möwen ist die Entfernung zum nächsten Zufluchtsort vor Feuerwerkskörpern größer als für kleine Arten, die weniger exponierte Lebensräume bewohnen. In Offenlandschaften reicht die Störwirkung bis zu 10 km weit.

Aufgrund dieser Forschungsergebnisse empfehlen Wissenschaftler*innen, im Umfeld von Vogelschutzgebieten feuerwerksfreie Pufferzonen einzurichten. Als erste Kommune am Weltnaturerbe Wattenmeer hat die Gemeinde Wangerland dies unlängst umgesetzt, was ausgesprochen positiv zu bewerten ist und angemessen für die Region am Weltnaturerbe Wattenmeer.

Übrigens: In jeder Silvesternacht feiern wir auch in den Geburtstag des Nationalparks hinein – am 1. Januar 1986 wurde das Niedersächsische Wattenmeer unter diesen höchsten Schutzstatus gestellt. Ein Grund mehr, um Mitternacht Geburtstagskerzen anzuzünden und mit Windlicht oder Laterne, ohne vogelscheuchenden Knalleffekt, den ersten Tag des neuen Jahres am Deich mit Blick auf diese weltweit einzigartige Naturlandschaft vor unserer Haustür zu begrüßen. Die Wangerland Touristik lädt wieder zum gemeinsamen Deichleuchten ein – Nachahmung erwünscht für ein friedliches Lichtermeer am Weltnaturerbe Wattenmeer. https://www.wangerland.de/event/wangerlaender-deichleuchten 

 

Hintergrund

Literaturauswahl zu wissenschaftlichen Untersuchungen zu den Auswirkungen auf Feuerwerk und Vögel:

Bateman, P. W., Gilson, L. N., & Bradshaw, P. (2023). Not just a flash in the pan: short and long term impacts of fireworks on the environment. Pacific Conservation Biology, 29(5), 396–401. https://doi.org/10.1071/PC22040 

  Hoekstra, B., Bouten, W., Dokter, A., Van Gasteren, H., Van Turnhout, C., Kranstauber, B., Van Loon, E., Leijnse, H., & Shamoun‐Baranes, J. (2023). Fireworks disturbance across bird communities. Frontiers in Ecology and the Environment, fee.2694. https://doi.org/10.1002/fee.2694 

  Kölzsch, A., Lameris, T. K., Müskens, G. J. D. M., Schreven, K. H. T., Buitendijk, N. H., Kruckenberg, H., Moonen, S., Heinicke, T., Cao, L., Madsen, J., Wikelski, M., & Nolet, B. A. (2023). Wild goose chase: Geese flee high and far, and with aftereffects from New Year’s fireworks. Conservation Letters, 16(1), e12927. https://doi.org/10.1111/conl.12927 

  Shamoun-Baranes, J., Dokter, A. M., van Gasteren, H., van Loon, E. E., Leijnse, H., & Bouten, W. (2011). Birds flee en mass from New Year’s Eve fireworks. Behavioral Ecology, 22(6), 1173–1177. https://doi.org/10.1093/beheco/arr102 

 Wayman, J. P., Atkinson, G., Jahangir, M., White, D., Matthews, T. J., Antoniou, M., Reynolds, S. J., & Sadler, J. P. (2023). L-band radar quantifies major disturbance of birds by fireworks in an urban area. Scientific Reports, 13(1), 12085. https://doi.org/10.1038/s41598-023-39223-1