22.06.2021 Stolpersteine putzen, alle Jahre wieder

Stolpersteine putzen, alle Jahre wieder

Einmal im Jahr treibt es Wolfgang M. Böhm aus Hamburg für ein paar Tage Urlaub auf  die Nordeseeinsel Wangerooge. Seit nunmehr zehn Jahren nutzt er die Zeit auf der Insel auch dazu, die vier, vom Künstler Gunter Demnig im Mai 2011 an der Kreuzung Zedeliusstraße Ecke Elisbaeth-Anna-Straße zur Erinnerung an die von den Nationalsozialisten von der Insel deportierten jüdischen Familie Levi verlegten Stolpersteine, zu reinigen. Am Dienstag war es wieder einmal so weit.

Ulla Raupach und Thomas Zimmermann lassen sich von Wolfgang M. Böhm die Geschichte der Familie Levi erzählen.

Setzen der Stolpersteine für die jüdische Familie Levy im Mai 2011

28.000 Stolpersteine wurden vom Künstler Gunter Demnig in 630 Kommunen in ganz Europa bereits verlegt. Am Sonntag Vormittag wurden im Kreuzungsbereich der Elisabeth-Anna-Strasse /Zedeliusstrasse auf Initiative der Abgansklasse 10a, 2007 der Inselschule Wangerooge auf  der Nordseeinsel vom Künstler Gunter Demnig selbst vier weitere Stolpersteine in Erinnerung an die von den Nationalsozialisten von der Insel deportierten jüdischen Familie Levy  gedacht. Mit dem Verlegen von Stolpersteinen will der Künstler Gunter Demnig, das die Erinnerung an die Vertreibung und Vernichtung der Juden, der Zigeuner, der politisch Verfolgten, der Homosexuellen, der Zeugen Jehovas und der Euthanasieopfer im Nationalsozialismus lebendig bleibt.
Im Jahre 2007 war die Klasse 10a mit der Religionspädagogin Tina v. Pentz auf Abschlussfahrt in Berlin. Als Schwerpunktthema der Fahrt stand das Leben jüdischer Bürger in Berlin der Vergangenheit und der Gegenwart im Mittelpunkt. Auf den Spuren dieser Thematik besichtigten die Schülerinnen und Schüler unter anderem das Jüdische Museum und das Holocaust Denkmal im Herzen Berlins. Während einer Stadtführung durch die Viertel in Berlin, welche einstmals von einer Vielzahl jüdischer Bürger bewohnt wurden, stiessen sie auf die Stolpersteine von Gunter Demnig. Die Steine tragen zum einen das Geburtsdatum, wie auch das Deportationsdatum und zum anderen den Namen der betroffenen Person. Eigentlich werden sie vor dem Haus verlegt in dem die Menschen gewohnt haben, damit Passanten beim Vorübergehen über die Steine stolpern und vor sich das Haus der ehemaligen Bewohner sehen. Auf diesem Weg schenkt jeder der über die Steine stolpert den Opfern des Holocaust einen Augenblick stillen Gedenkens.
Die Steine weckten das Interesse der Schüler/Innen der Geschichte jüdischer Bürger in der Nazizeit auf Wangerooge nachzugehen, ob es auf der Insel auch jüdische Bürger gab, welche im Zuge des Nationalsozialismus deportiert wurden.
Bei ihren Recherchen auf der Insel, unter anderem auch durch Gesprächen mit Zeitzeugen, erhielten sie die Information, dass es auch auf Wangerooge eine Familie gab, die dem Holocaust zum Opfer gefallen war. Die Verlegung der Stolpersteine zum Gedenken an diese Familie Levy sollte das Abschlussprojekt der Klasse auf der Insel werden.
Doch mit der Verlegung der Steine direkt vor dem Haus, in dem ehemals die Familie Levy  wohnte, tat sich der Rat der Inselgemeinde Wangerooge (das Jeversche Wochenblatt berichtete) schwer. Nach vielem hin und her wurde schliesslich der Kompromiss gefunden, die Stolpersteine im Kreuzungsbereich der Elisabeth-Anna-Strasse/Zedeliusstrae zu verlegen. Da der Künstler Gunter Demnig aber nicht nur die Steine auf Wangerooge zu verlegen hatte, dauerte es bis zu gestrigen Tag, dass das Projekt der Abgangsklasse zu Ende gebracht werden konnte.
Zur Steinlegung war auch der Nachfahre von der ermordeten Martha Levy  geb Heinemann, Ruben Heinemann eigens mit seiner Lebensgefährtin Susanne Spremberg aus Herford auf die Insel angereist und legte, wie es in der jüdischen Religion Brauch ist, einen Stein auf den Stolperstein seiner Vorfahrin. Es gibt keinen Grabstein, auf den er diesen Stein hätte legen können. Gunter Demnig formulierte es so: “Die Ermordeten wurden im KZ verbrannt, haben sich in Rauch aufgelöst, durch die Stolpersteine wird die Erinnerung an sie wider lebendig”. Die Schülerinnen und Ruben Heinemann zeigten sich bei der Zeremonie sehr ergriffen, dass die Steine nun endlich verlegt werden konnten.
Der Künstler Gunter Demnig erklärte in seiner Ansprache die Absicht, warum er die Form der Stolpersteine gewählt habe und nicht die Form einer Gedenktafel an den jeweiligen Häusern so: “Beim Lesen der Steine macht jeder Betrachter automatisch eine Verbeugung vor den Opfern”. Inselbürgermeister Holger Kohls wies in seiner Rede darauf hin, dass bereits im Jahre 1995 am Ehrenmal eine Tafel enthüllt wurde, die der ermordeten Familie Levy  gedenkt. Der einzige Überlebende der Familie Levy  Sigmund Levy, der 2004 in den USA verstorben ist, hat diese Gedenktafel noch selbst in Augenschein nehmen dürfen. “Im Inselrat gab es nie Widerstand gegen das Verlegen der Steine, lediglig die Standortfrage war strittig”, so Kohls.
Die Schülerrinnen bedankten sich mit Blumensträussen bei ihren vielen Helfern, der größte Dank gehörte Dirk Lindner, dem Vater von Martje und zugleich Ordnungsbeamter der Insel. “Ohne Dirk hätte das alles nie stattgefunden” fasste Janna Wilhelmi ihren Dank im Namen aller Schüler/Innen zusammen.
Zur Geschichte der Familie Levy auf Wangerooge:
1909 kaufte August Levy  in der Elisabeth-Anna-Straße ein Grundstück. Darauf baute er ein Haus mit Fleischerei und Ladengeschäft. Dieses wurde später von seinem Sohn Hermann (Hugo) mit seiner Frau Martha (geb. Heinemann) übernommen. 
Hermann und Martha Levy  bekamen zwei Kinder.

Marga – geb. 18.03.1914 auf Wangerooge und Siegmund – geb. 26.01.1919 auch auf Wangerooge
Marga ging mit Beginn ihrer Schulzeit zu ihrer Tante nach Esens. Mit 16 ging sie nach Hildesheim und arbeitet dort als Wirtschafterin. Danach ging sie nach Leipzig, und von dort auf das „Gut Neuendorf” bei Berlin. 1940 wurde sie in ein „Umschulungslager” nach Paderborn umgesiedelt. Wie und wo sie verstarb ist nicht bekannt, nur, dass sie Richtung Osten deportiert wurde.

Siegmund begann im April 1933 eine Schlachterlehre in Herford. Von dort ging ,auch er auf das „Gut Neuendorf”. Mit Glück bekam er ein Visa für England, und wanderte dann über England nach dem Krieg in die USA aus. Am 
03.07.2004 verstarb er in Stockton/Kalifornien.

Nach der Reichskristallnacht 9./10. November 1938 wurden Hermann und Martha Levy  durch den Ort zum Bahnhof „getrieben”. Wangerooge konnte sich nunmehr als erste Kommune im Oldenburger Land judenfrei nennen. Sie wurden in das KZ 
Sachsenhausen verschleppt, aber kurze Zeit später wieder freigelassen. Aufnahme fanden sie bei Marthas Bruder in Herford. Am 13.12.1941 wurde Hermann in ein Ghetto nach Riga deportiert. Im März 1942 wurde er von einem Insulaner beim Gleisbau bei Riga gesehen. Im Januar 1943 wurde er für tot erklärt.
Martha wurde in das KZ Stutthof deportiert. Hier wurde sie auch ermordet.