10.07.2025 Schatzinsel der Biodiversität – Nationalpark-Tag der Artenvielfalt auf Wangerooge mit erfolgreicher Bilanz
Schatzinseln der Biodiversität
„Nationalpark-Tag der Artenvielfalt“ auf Wangerooge mit erfolgreicher Bilanz
Wangerooge/Wilhelmshaven, 09.07.2025 – Jedes Jahr machen sich am „Nationalpark-Tag der Artenvielfalt“ Expert*innen in einem Teilgebiet des Nationalparks Niedersächsisches Wattenmeer auf, um die dortige Artenvielfalt zu erfassen. Am Samstag, den 5. Juli 2025, wurde das Arteninventar der Insel Wangerooge genauestens unter die Lupe genommen.
Die „Schatzinsel Wangerooge“ war unter diesem Motto bereits 2008 und 2017 das Ziel der Artenkenner*innen gewesen. Dass erneut mehr Tier- und Pflanzenarten als im Vorjahr nachgewiesen und dabei zahlreiche Neunachweise erbracht werden konnten, illustriert den reichhaltigen Schatz der Biodiversität, den der Nationalpark beherbergt. Organisiert wurde diese 18. Auflage des „Tags der Artenvielfalt“ von der Nationalparkverwaltung, unterstützt vom Mellumrat e.V. und dem Nationalpark-Haus Wangerooge.
Nach der Überfahrt mit der Fähre begrüßten Peter Kuchenbuch-Hanken, stellvertretender Bürgermeister der Inselgemeinde Wangerooge, und Nationalpark-Leiter Peter Südbeck die Teilnehmer*innen auf der Insel Wangerooge. Es folgte eine kurze Vorstellung der Exkursionsgebiete sowie die Aufteilung in Gruppen mit unterschiedlicher Expertise hinsichtlich des Arteninventars. Anschließend startete die Exkursion in die verschiedenen Bereiche der Insel. Nach mehr als fünf Stunden intensiver Erfassungs- und Nachweisarbeit oft schwieriger Tier- und Pflanzenartengruppen kamen alle Teilnehmenden im Nationalpark-Haus Wangerooge zusammen. Dort hießen Hausleiterin Annabel Mempel und ihr Team die Beteiligten herzlich willkommen. Bei Kaffee, Tee und Kuchen wurden dann die vorläufigen Ergebnisse zusammengetragen und vorgestellt.
Die Gruppe der Pflanzenkundler*innen konnte mindestens 210 Pflanzenarten nachweisen, wobei der Zwerg-Gauchheil (Anagallis minima), das in der Roten Liste als stark gefährdet eingestuft ist, als besonderes Highlight der Grünlandflächen hervorgehoben wurde, wie Nationalparkmanagementexpertin Karla Schulze betonte. Ebenfalls wurden dort drei Orchideenarten nachgewiesen: Dactylorhiza praetermissa, Dactylorhiza maculata und Epipactis palustris. Für besondere Begeisterung sorgte bei Dr. Annemarie Schacherer, Kennerin im niedersächsischen Pflanzenartenschutz, die Nachweise von Gewöhnlichen Armleuchteralgen (Chara vulgaris), da diese Süßwasseralgen in Deutschland selten geworden sind.
Die Gruppe der Pilzkundler*innen um Jörg Albers konnte trotz der vorangegangenen Trockenperiode 34 Arten nachweisen – darunter auch Feinwarzige Wachsrindenpilze (Scopuloides rimosa), die erstmals auf Wangerooge nachgewiesen wurden.
Die Flechtenexpert*innen fanden 56 Arten vor. Neben dreizehn Neunachweisen konnten auch zwölf Arten dokumentiert werden, die als sogenannte „Klimawandelzeiger“ gelten. „Ein Trend, den wir allerorts in den letzten Jahren feststellen“, resümiert der Flechtenexperte Hans-Wilhelm Linders.
In der Gruppe, die das Watt untersuchte, lag der Fokus nicht nur auf der reinen Arterfassung, sondern auch auf der Kartierung von Häufigkeiten. Besonders erfreulich war der Fund dichter Bestände von vom Aussterben bedrohten Großen Pfeffermuscheln (Scrobicularia plana). Zugleich wurden jedoch auch die neobiotischen Manila-Teppichmuscheln (Ruditapes philippinarum) nachgewiesen, die sich seit Ende 2023 von niederländischen Muschelkulturen aus verbreiten.
Für Fluginsekten waren die Witterungsbedingungen an diesem Tag eher ungünstig. So konnten nur 19 Stechimmen-Arten (Wespen und Wildbienen) nachgewiesen werden. Zur Freude des Stechimmenexperten Rolf Witt fanden sich darunter jedoch jeweils ein Exemplar der stark gefährdeten Mooshummel (Bombus muscorum) und der gefährdeten Heidehummel (Bombus jonellus) sowie eine der für Küstendünen äußerst typischen und gleichfalls gefährdeten Sand-Blattschneiderbiene (Megachile maritima).
Die Käferexperten Axel Bellmann und Ludger Schmidt schätzten ihre Funde auf ca. 70 Arten. Ähnlich erfolgreich war der Fliegenexperte Jens-Hermann Stuke: Er konnte rund 60 Arten dokumentieren – und damit den bisherigen Kenntnisstand zu den Fliegen auf Wangerooge (knapp 30 Arten) verdoppeln. Bei beiden Artengruppen ist eine genauere Betrachtung präparierter Tiere notwendig, um gesicherte Nachweise zu liefern.
Durch einen in der Nacht durchgeführten Lichtfang konnte Karsten Heinecke bereits 57 Schmetterlingsarten erfassen. Besonders hervorzuheben war hierbei der Fund von Klappertopf-Kapselspannern (Perizoma albulata), eine in Niedersachsen äußerst seltene Art, deren Raupen sich ausschließlich von den Früchten der ebenfalls gefährdeten Klappertopfpflanzen (Rhinanthus serotinus) ernähren, die es im Ostinnengroden Wangerooges häufig gibt. Darüber hinaus wurde ein Exemplar der als vom Aussterben bedroht geltenden Strand-Erdeule (Agrotis ripae) hervorgehoben, deren Larven Spezialisten für naturbelassene Strände sind.
Zwar wurden nur zwei Ohrenkneifer-Arten entdeckt, doch mehrere Sand-Ohrwurm-Exemplare (Labidura riparia) stellten einen besonderen Fund dar, wie Kay Fuhrmann erklärte. Erst 2022 war die Art im Nationalpark erstmalig durch den Nachweis eines Männchens von Norderney gemeldet worden. Neben ausgewachsenen Exemplaren wurden auch ein paar Jungtiere vorgefunden, sodass auf eine Etablierung dieser stark gefährdeten Art auf der Insel geschlossen werden kann.
Bei den Wirbeltieren wurden vier Säugetier-, drei Amphibien- und Reptilien- und 82 Vogelarten gemeldet. Richard Podlucky berichtete von mehreren Kreuzkrötenfunden (Epidalea calamita) in der Nacht. Mit besonderer Begeisterung berichtete Corinna Langebrake von der Sichtung eines Basstölpels (Morus bassanus), eines Schwarzhalstauschers (Podiceps nigricollis) sowie Individuen von vier unterschiedlichen Seeschwalbenarten.
Insgesamt wurde eine – vorläufige – Gesamtartenzahl von 678 Arten festgestellt, ein neuer Höchststand für diese Veranstaltung auf Wangerooge, der den bisherigen Höchststand aus dem Jahr 2017 übertrifft.
„Das zeigt erneut, wie reichhaltig die Biodiversität im Nationalpark Wattenmeer ist“, resümierte Peter Südbeck. „Es ist immer wieder beeindruckend und hoch motivierend zu sehen, mit welchem Engagement die Artenkenner*innen im Nationalpark unterwegs sind. Für ihre Mühen und die dadurch gewonnenen Erkenntnisse für unsere Naturschutzarbeit danke ich im Namen der Nationalparkverwaltung von Herzen.“
Anmerkung: Wenn im Text von „gefährdet“, „stark gefährdet“ und „vom Aussterben bedroht“ die Rede ist, bezieht sich dies auf die festgesetzten Kategorien der Roten Listen Deutschlands für die jeweilige Artengruppe. Mehr Details unter www.rote-liste-zentrum.de/de/Artensuchmaschine.html
Zum Nationalpark-Tag der Artenvielfalt
Der „Tag der Artenvielfalt“ wurde 1999 vom Fachmagazin GEO ins Leben gerufen. Bundesweit machten sich Gruppen von Artenkenner*innen auf, um jeweils in einem definiert abgegrenzten Gebiet binnen eines Tages das Arteninventar zu erfassen. Seit 2006 finden die Aktivitäten auch im Nationalpark Niedersächsisches Wattenmeer statt. Nachdem sich GEO aus diesem Veranstaltungsformat zurückgezogen hatte, setzt die Nationalparkverwaltung dieses jährliche Expert*innen-Treffen als „Nationalpark-Tag der Artenvielfalt“ fort. Im Wechsel wird jedes Jahr eine Insel oder ein bestimmter Küstenabschnitt kartiert.
Text und Fotos: Nationalparkverwaltung